Wie wir berufliche Handlungskompetenz entwickeln

  • von Antje Behr
  • 27 Feb., 2023
Inhalte

  1. Was berufliche Handlungskompetenz ist und was sie nicht ist
  2. Berufliche Handlungskompetenz entwickeln - konkret
  3. Herausforderung Lehrplan
  4. Themen-TIPP


1. Was berufliche Handlungskompetenz ist und was sie nicht ist

Die berufliche Handlungskompetenz ist seit Jahren in aller Munde und aus der beruflichen Bildung nicht mehr wegzudenken. So müsste man zumindest meinen. Jedoch wird die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz noch allzu oft aus dem Bildungsauftrag „weggedacht“. Wir verfallen regelmäßig in alte Strukturen der frontal ausgerichteten und gleichgeschalteten Vermittlung von Fachwissen.

Da bleibt zunächst zu klären, was berufliche Handlungskompetenz eigentlich ist und was sie vor allem nicht ist.

In der Begrifflichkeit „beruflicher Handlungskompetenz“ verbergen sich drei wichtige Aspekte: Beruf, Handlung und Kompetenz. „Handeln“ meint dabei das absichtliche Tun und „Kompetenz“ beschreibt die Fähigkeit und/oder Fertigkeit dieses Tun umzusetzen und zu reflektieren. Beide richten sich dabei auf den Beruf dessen, der handelt.

Das heißt konkret: Lernende sollen von uns in ihrer Ausbildung qualifiziert werden, in unterschiedlichen Kontexten ihres künftigen Berufs, professionell, fachgerecht, bewusst und reflektiert zu handeln.

Die Kultusministerkonferenz vereint für diese Zielstellung drei Teilkompetenzen – Fach-, Selbst- und Sozialkompetenz, deren immanenter Bestandteil die Methodenkompetenz ist.

Das, was wir häufig in Ausbildungen erleben, ist, dass vor allem Fachkompetenz angebahnt wird. Das geschieht mehrheitlich in Form von Frontalunterricht, in dem Lernende bestenfalls zuhören, aber nicht handeln. Solche Lernkonzepte schließen sich von vornherein eigentlich aus, als geeignet betrachtet zu werden, berufliche Handlungskompetenz zu entwickeln. Auch in der praktischen Ausbildung wird in Lernaufgaben viel zu oft auf theoretischen Input gesetzt und zu wenig auf praktischen Output.

Fachwissen zu erwerben ist eben nur ein kleiner Teil der beruflichen Handlungskompetenz und kann diese nicht in Gänze abbilden.


2. Berufliche Handlungskompetenz entwickeln - konkret

Wie entwickeln wir nun aber konkret berufliche Handlungskompetenz? Die für mich dabei wichtigste Überlegung ist, dass wir Lernkonzepte brauchen, die Lernende zu eigenverantwortlich Handelnden werden lassen und sie motivieren, berufliche Herausforderungen selbst zu bewältigen.

Lernende müssen von Beginn an dazu befähigt werden, selbstständig berufliches Handeln bewusst zu planen, zu bewältigen und ihr Vorgehen zu reflektieren. Wenn wir Lernsettings schaffen, in denen Lernende „genötigt“ werden, Probleme zu erkennen, sich das Wissen und die Fertigkeiten anzueignen, selbst Strategien zu entwickeln, die zur Problemlösung beitragen, Handlungsansätze abzugleichen und Gedanken zu vernetzen, entwickeln wir berufliche Handlungskompetenz.

Denn Probleme zu erkennen, setzt Fachwissen/Fachkompetenz voraus. Problemlösungsstrategien zu entwickeln erfordert Selbstkompetenz und die eigenen Handlungsansätze mit denen anderer abzugleichen und Gedanken auszutauschen, bedarf der Sozialkompetenz. Damit sind die drei Teilkompetenzen der beruflichen Handlungskompetenz vereint.

Das heißt also, wir benötigen in Lernsettings nicht voneinander abgelöste Inhalte, die mittels theoretischen Inputs vermittelt werden, sondern vollständige berufliche Handlungen, die alle Teilkompetenzen umfassen und von den Lernenden selbstständig bearbeitet werden.

Das heißt egal, ob die Anatomie der Organe, die Krankheitslehre, die Versorgung des Patienten, die interdisziplinäre Zusammenarbeit oder die Kommunikation mit dem Patienten – alle Inhalte müssen in vollständigen beruflichen Handlungssituationen abgebildet werden, um Handlungskompetenz zu entwickeln. Findet die Verknüpfung der Inhalte in beruflichen Handlungsanlässen nicht statt, entsteht nur Fachwissen zu eben genannten Inhalten, aber keine Handlungskompetenz.

Wir müssen uns daher methodisch neu ausrichten und uns mit individuellen handlungs- und lösungsorientierten Lernkonzepten beschäftigen, die Lernende selbstständig bearbeiten und dabei lernen, ihr Handeln zu reflektieren.


3. Herausforderung Lehrplan

Dass in Schulen und Praxislernorten so selten berufliche Handlungskompetenz angebahnt wird, ist aus meiner Sicht vor allem der Struktur unserer Lehrpläne und fehlender Schulung derer, die damit arbeiten müssen geschuldet.

Lehrpläne brechen die Vorgaben der Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Gesundheitsberufe grob herunter auf übergeordnete Kompetenzen. Es gelingt jedoch aus meiner Sicht nicht oder nicht ausreichend, diese Kompetenzen in vollständigen beruflichen Handlungen abzubilden. Es stehen also schon die Pädagogen der Schulen vor der großen Herausforderung, aus den Lehrplänen berufliche Handlungen für ihre eigenen Curricula zu entwickeln. Wie viel mehr die Praxisanleiter an den Praxislernorten? Die Konsequenz ist, dass voneinander abgelöste Inhalte vermittelt werden, die nicht in beruflichen Handlungssituationen miteinander verknüpft sind. Damit wird keine vollständige berufliche Handlung abgearbeitet, die Handlungskompetenz anbahnen würde. Größtenteils wird auf Lernsituationen (Handlungsanlässe) sogar verzichtet. Wenn Lerninhalte ohne Bezug zur Handlungssituation erarbeitet werden können, dann ist die Lernsituation tatsächlich auch überflüssig.

Aber genau dort müssen wir ansetzen, wenn wir beruflich handlungskompetente Fachkräfte entwickeln sollen.

Lernsituationen in Schulen und Lernaufgaben in der Praxis brauchen zwingend eine neue Methodik und Struktur. Inhalte dürfen nicht mehr abgelöst von beruflichen Handlungen stehen, sondern müssen diese in Gänze abbilden. Wenn Lernende nicht handeln müssen, dann kann auch nicht Handlungskompetenz entstehen.

Lernkonzepte, die auf die Problemlösefähigkeit und Selbstverantwortung der Lernenden zielt und sie zu reflektierten und handlungskompetenten Fachkräften entwickelt, gibt es inzwischen viele. Sie müssen nur endlich auch den Weg in die Schulen und Praxislernorte finden. 


4. Themen-Tipp

Sie möchten mehr zu diesem Thema erfahren und/oder selbst handlungsorientierte Lernsettings entwickeln? Dann lesen Sie auch meinen 


Literaturnachweis

AEVO Online GmbH. (2018). Ausbildungsmethoden - Das Modell der vollständigen Handlung. Abgerufen am 27.02.2023 von https://aevo-online.com/modell-der-vollstaendigen-handlung/

Arnold, R., & Müller, H.-J. (1993). Handlungsorientierung und ganzheitliches Lernen in der Berufsausbildung - 10 Annäherungsversuche. Erziehungswissenschaft und Beruf,  Heft 4.

Bader, R. (2003). Lernfelder konstruieren – Lernsituationen entwickeln. Die berufsbildende Schule (55), S. 210-217.

Bundesinstitut für Berufsbildung. (2019). Handlungsorientiert ausbilden - Modell der vollständigen Handlung. Abgerufen am 27.02.2023 von https://www.foraus.de/de/themen/foraus_109495.php

Kultusministerkonferenz. (2018). Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Abgerufen am 27.02.2023 von https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_06_17-GEP-Handreichung.pdf

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. (2012). Didaktische Jahresplanung - Kompetenzorientierten Unterricht systematisch planen. (S. f. Bildungsforschung, Herausgeber) Abgerufen am 27.02.2023 von https://www.isb.bayern.de/schulartspezifisches/materialien/d/didjp/

Abbildungsnachweis

Abbildung "Lösung für ein Problemkonzept ..." von C. Horz

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